Heimatbuch der Deutschen aus Russland – ist das von der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland kollektiv verfasste fächer- und grenzüberschreitend angelegte Sammelband, das die Bereiche Geschichte der alten Heimat, Landeskunde, Geographie, Volkskunde, Soziologie, Sprache und Literatur vereint. Heimatbücher (HB) gibt es im deutschsprachigen Raum seit dem frühen 20. Jahrhundert. 1953 erschien das erste „Heimatbuch der Ostumsiedler. Kalender 1954“ (herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft der Ostumsiedler, Redakteur Julian Merling), 1954 wurde das zweite Kalender veröffentlicht. Das erste HB 1954, in dem Vertreter unterschiedlicher Disziplinen ebenso zu Wort wie ein 'Laienforscher' kamen, befasste sich zum großen Teil mit den russlanddeutschen Siedlungsgebieten im europäischen Russland (Kaukasus, Krim, Wolga, Ukraine). Es kostete einschließlich Porto DM 3, 20. 1955 wurde das HB mit dem Titel „HB der Deutschen aus Russland. 1956“ von der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland veröffentlicht, das die Form des Kalenders ersetzte. Die Titelseite des HB, die seit 1955 existiert und sich außer hinsichtlich der Farbe nicht geändert hat, wurde von dem russlanddeutschen Künstler Alexander Harder gestaltet.
Es wurden 32 Einzelbände (Stand 2020) und fünf Sonderbände herausgegeben. Die HB beinhalten verschiedene Beiträge, Fotos und Dokumente zur Geschichte und Kultur der Deutschen aus Russland, Biografien, Karten, Dorfpläne, Namenslisten, Erzählungen und Erinnerungen. Die Auswahl der Beiträge beinhaltet solche, die sich mit Ortschaften in den größeren Ansiedlungsgebieten der Russlanddeutschen befassen: Wolgagebiet, Schwarzmeergebiet, Krim, Wolhynien, Nordkaukasus sowie einzelne deutsche Ortschaften in Sibirien oder Georgiern. Die Inhaltsverzeichnisse weisen bis 1964 folgende Gliederung auf: „Aus der Geschichte und Gegenwart“, „Schule und Kirche“, „(Land-)Wirtschaft“, „Lebensbildern“ „Erzählungen und Gedichte/Volkskundliches“. Bei der Auswahl der Beiträge wurde darauf geachtet, möglichst viele unterschiedliche Regionen zu berücksichtigen. Die ersten HB setzten sich die unterschiedlichen Herkunfts- und Siedlungsgebiete der Deutschen zum Schwerpunkt: 1955 – Wolgagebiet; 1956 – Odessa; 1957 – Saporoschje, Großliebenthal; 1958 – Dnjepropetrowsk, Kronau; 1959 – Sibirien, Mittelasien, Wolhynien; 1960 – Krim; 1961– Kaukasus; 1962 – Wolhynien; 1963 – Russlanddeutsche in Übersee (in Süd- und Nordamerika); 1964 – Sibirien und Wolga. Die meisten Beiträge umfassen den Zeitraum von der Ansiedlung in den jeweiligen Kolonien bis zur Deportation. Die Ereignisse zwischen Ansiedlung und 1941 erscheinen gewissermaßen als Themenkanon, der sich immer wiederholt: Gründung der deutschen Kolonie, wirtschaftliche Entwicklung, Verlust der ersten Privilegien 1871, Erster Weltkrieg mit ‚Deutschenhass‘, Revolution, Hungersnot der Jahre 1921/22, Kollektivierung und ‚Großer Terror‘ und letztlich der Zweite Weltkrieg mit seinen Folgen.
Ab dem HB 1965 dominiert ein lockerer, weniger nach Themenkategorien sortierter Aufbau. Später liegt der Fokus auf je einem Oberthema pro HB, wie beispielsweise den Deportationen während des Zweiten Weltkriegs im HB von 1966. Die Ausgaben der nachfolgenden Jahre widmeten sich unter anderem der Kultur, alltägliches Leben, Religion, Hungersnot und Deportation. Menschliche Schicksale und persönliche Berichte bilden dabei immer einen wichtigen Bestandteil der HB. Die Erzählmodi der einzelnen Autoren variieren in der HB erheblich. Es gibt nicht nur zahlreiche kommentarlos abgedruckte Lebenserinnerungen, sondern auch die Beiträge mit wissenschaftlichem Anspruch, die mit Anmerkungsapparat und Literaturhinweisen versehen sind.
Als HB 1969–1972 erschien 1972 die Monografie „Die Kirchen und das religiöse Leben der Russlanddeutschen“. In der ersten Auflage waren der Katholische und der Evangelische Teil zusammengestellt, in der zweiten Auflage wurde das Werk in zwei Bänden herausgegeben. Mit dieser Herausgabe erreichten die HB auch bei Wissenschaftler ein beachtliches Niveau. 2010 wurden im Sonderband unter dem Titel „Von der Autonomiegründung zur Verbannung und Entrechtung“ (Hrsg. Dr. A. Eisfeld) zwei schicksalhafte Abschnitte der russlanddeutschen Geschichte in den Mittelpunkt gestellt.
Als Herausgeber oder Bearbeiter fungierten gebildete Laien wie Lehrer, Geistliche und andere Studierte. Im Zeitraum von 1954 bis 1964 wurde Dr. Karl Stumpp (der gesamte Quellenbasis während seiner Tätigkeit als Leiter eines SS-Sonderkommandos sammelte) der federführende Bearbeiter und Schriftleiter. Für die Bände der Jahre 1965 bis einschließlich 1967/68 und bei der Herausgabe des Sonderbandes 1969–1972 fungierte dann Johannes Schnurr als Bearbeiter. Zur Redaktion der HB 1973–1981 und 1982–1984 gehörten Eduard Markstädter (von Sarnowski), Dr. Matthias Hagin und Reinhold Keil, die auch selbst viele Beiträge verfassten. Seit 1985 wurde für die Redaktion und Bearbeitung Hans Kampen verantwortlich, seit 1989 gehörte zur Redaktion auch Johann Kampen, seit 2004 auch Frau Nina Paulsen.
Die von der LMDR herausgegebenen HB abzielten darauf, eine Erinnerungsgemeinschaft – wörtlich Schicksalsgemeinschaft – zu konstruieren. Eine zentrale Aufgabe der HB ist die Archivierung von Lokalwissen und Erinnerung, Aufnahme der alten Heimat in das kulturelle Gedächtnis der Gesamtgesellschaft. Bereits in den 1950er und 1960er Jahren wurde durch die HB eine Interpretation der eigenen Geschichte als gesamtrusslanddeutscher Leidensweg etabliert. Als gesamtrusslanddeutscher Gründungskonzept und identitätsstiftend für die Erinnerungsgemeinschaft diente die Deportation von 1941 und Kriegsfolgenschicksal. Ein wesentliches Merkmal der Beiträge in den HB ist die stets wiederholende Meinung der Verfasser, dass die deutschen Kolonisten in Russland sich im Vergleich zu anderen Ethnien durch ihre landwirtschaftlichen Erfolge und ihre christliche Lebensweise besonders positiv hervorgetan hätten. Für die HB ist es inhaltlich auch typisch, in den Geleitworten formulierte Anliegen, weitere Kreise in der BRD über die Geschichte der deutschen Kolonisten in Russland zu informieren.
Die LmDR finanzierte die HB aus eigenen Mitteln. Die Mehrzahl erschien in kleinen Auflagen im Selbstverlag und ging direkt an die Gruppenmitglieder, später und jetzt werden sie unverändert nachgedrückt. Die Russlanddeutschen, Siebenbürger Sachsen und Donauschwaben sind in Deutschland die einzigen, die noch jetzt die HB publizieren, während bei anderen Gruppen mit dem Generationenwechsel das Ende des HB einherging. HB sind vom hohen symbolischen Wert für die Russlanddeutschen.
Das Heimatbuch. Geschichte, Methodik, Wirkung. Hrsg. v. Mathias Beer. Göttingen 2010; Breuer A. Die „Heimatbücher der Deutschen aus Rußland“ 1954 bis 1964. Eine Quelle zur Erforschung einer Erinnerungsgemeinschaft. Hausarbeit zur Erlangung des Akademischen Grades Bachelor of Arts. Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 2014; Die Heimatbücher der Deutschen aus Rußland. In: 65 Jahre Landsmannschaft der Deutschen aus Russland- Stuttgart, 2015. S. 12–13; Faehndrich J. Eine endliche Geschichte. Die Heimatbücher der deutschen Vertriebenen. Köln u. a. 2011 (Visuelle Geschichtskultur 5); Faehndrich J. Erinnerungskultur und Umgang mit Vertreibung in Heimatbüchern deutschsprachiger Vertriebener. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung 52 (2003), H. 2, S.191–229; Faehndrich J. Die Kirche im Dorf. Bilderwelten im Vertriebenen-Heimatbuch. In: Zur Ästhetik des Verlusts. Bilder von Heimat, Flucht und Vertreibung: Referate der Tagung des Johannes-Künzig-Instituts für Ostdeutsche Volkskunde, 8. bis. 10. Juli 2009. Hrsg. v. Elisabeth Fendl. Münster 2010, S. 221–237 (Schriftenreihe des Johannes-Künzig-Instituts 12); Kampf W. Ostdeutsche Heimatbücher – mehr als bloße Erinnerung. In: Der gemeinsame Weg 3 (1977). S. 20–23; Kessler W. Ost- und südostdeutsche Heimatbücher und Ortsmonographien nach 1945. Eine Bibliographie zur historischen Landeskunde der Vertreibungsgebiete. München [u.a.] 1979; Schmaltz E.J., Sinner S.D. The Nazi Ethnographic Research of Georg Leibbrandt and Karl Stumpp in Ukraine, and its North American Legacy. In: German scholars and ethnic cleansing (1920-1945). Hrsg. v. Ingo Haar [u.a.]. New York 2005. S. 51–85; Schöck G. Das Heimatbuch – Ortschronik oder Integrationsmittel? In: Der Bürger im Staat, Bd. 24 (1974). H. 1. S. 149–152.
Heimatbuch der Ostumsiedler. Kalender 1954. Kalender 1955. Herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft der Ostumsiedler; Heimatbuch der Deutschen aus Russland. 1956–2020. Herausgegeben von der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland; Die Kirchen und das religiöse Leben der Russlanddeutschen. Ev. Teil. Kath. Teil. Bearb. J. Schnurr. Stuttgart 1978. (Sonderband der Reihe «Heimatbücher der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e. V. 1969–1972»); Von der Autonomiegründung zur Verbannung und Entrechtung. Die Jahre 1918 und 1941 bis 1948 in der Geschichte der Deutschen in Russland / Alfred Eisfeld (Hrsg.). – Stuttgart, 2008. (Sonderband der Reihe «Heimatbücher der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e. V.») u.a.